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Grafik: Statist

GE­RA­DE JUN­GE AR­BEI­TNEH­MER LE­GEN WERT AUF EINE GUTE AR­BEI­T­SAT­MO­SPHÄRE. ABER NICHT NUR FR­EU­DE BEI DER AR­BEIT, AUCH EINE GUTE WORK-LIFE-BA­LAN­CE IST DEN JUN­GEN AR­BEI­TNEH­MERN OFT BES­ON­DERS WICH­TIG – OFT NOCH VOR DER BE­ZAH­LUNG! GRA­FIK: STA­TIST

»Jeder vierte bricht die Ausbildung ab«, mit Schlagzeilen wie dieser warten Zeitungen und Online-Medien nach der Veröffentlichung des Berufsbildungsberichts 2018 auf. Demnach betrug die Abbrecherquote zuletzt (2016) 25,8 Prozent.Es ist der höchste Wert seit Anfang der 1990er-Jahre. Doch die Zahl ist nicht neu: Bereits im Verlauf der 1980er-Jahre hat sich die Quote bei der vorzeitigen Lösung von Ausbildungsverträgen in der dualen Berufsausbildung in den alten Bundesländern von rund 13 Prozent im Jahr 1979 auf knapp 25 Prozent im Jahr 1992 fast verdoppelt. Seitdem schwankt die Lösungsquote im Bundesdurchschnitt für alle Wirtschaftsbereiche insgesamt zwischen 20% und 25%. Der Wert von 25,8 Prozent liege daher erstmals marginal außerhalb des Langfristkorridors, relativiert der ZDH.

Ein Thema das bewegt

Dennoch ist die Abbrecherquote ein Thema, das die breite Masse bewegt, aber vor allem die Wirtschaft.»In den letzten Jahren erhält dieses Thema insbesondere vor dem Hintergrund der Diskussionen um einen Fachkräftemangel große Beachtung«, stellt Alexandra Uhly in dem Diskussionspapier »Vorzeitige Vertragslösungen und Ausbildungsverlauf in der dualen Berufsausbildung« des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) fest. Europaweit verlassen junge Menschen vorzeitig das Ausbildungssystem. »Nach Angaben des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) bedeute dies derzeit Folgekosten in Höhe von 1,25 Prozent des BIP«, berichtet haufe online. Der Berufsbildungsbericht 2018 verweist darauf, dass Vertragslösungen sowohl für Betriebe als auch für die Jugendlichen mit Unsicherheiten, einem Verlust von Zeit, Energie und anderen Ressourcen verbunden sei. »Im ungünstigsten Fall können sie zu einem Ausstieg aus der Ausbildungsbeteiligung sowohl der Jugendlichen als auch der Betriebe führen«, warnen die Autoren.

Höchste Lösungsquote im Handwerk

Die Lösungsquoten zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Zuständigkeitsbereichen: In den Berufen des Handwerks zeigte sich mit 33,9% im Bundesdurchschnitt die höchste Lösungsquote im Vergleich zu einem Durchschnitt von 25,8 Prozent. Ein Grund für die höhere Lösungsquote im Handwerk sei allerdings, dass dort auch Menschen eine Chance auf Ausbildung erhalten, die in anderswo keine Anstellung finden, so der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Die Vertragslösungsquote fällt dabei umso höher aus, je niedriger der allgemeinbildende Schulabschluss der Auszubildenden ist (ohne Hauptschulabschluss: 38,7 Prozent, mit Hauptschulabschluss: 38,2 Prozent, mit Realschulabschluss: 23,3 Prozent, mit Studienberechtigung: 15,0 Prozent. Bei den Malern und Lackierern liegt die Lösungsquote bei 41,6 Prozent, übertroffen wird sie nur von den Bereichen »Fachkraft für Schutz und Sicherheit« und der/dem Restaurantfachfrau/Restaurantfachmann.

Woran liegt’s?

Wenig überraschend ist, dass sich Azubis und Ausbilder gegenseitig den Ball zuspielen, wenn es um die Gründe für einen Abbruch geht. Doch: 57 Prozent der Abbrüche gehen auf eine Kündigung durch den Azubi zurück, in nur 32 Prozent der Fälle kündigt der Ausbildungsbetrieb, der Rest geschieht in gegenseitigem Einvernehmen, wie www.karrierebibel.de berichtet. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Vertragslösungsquote insbesondere dann steige, wenn der Ausbildungsmarkt – wie aktuell – aus Bewerbersicht günstig sei und Auszubildende die Chance auf einen Lehrstellenwechsel nutzten. Bei den Gründen für einen Lehrstellenabbruch wird zwischen berufsbezogenen Gründen, also einer falschen Berufswahl, schulischen Gründen, denen etwa eine Überforderung zugrunde liegt, und persönlichen Gründen unterschieden.

Fehlende Unterstützung und Information

Volker Baethge-Kinsky, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Soziologischen Forschungsinstitut (SoFI) in Göttingen sieht im Mappe-Interview das eigentliche Drama der Ausbildungsabbrüche darin, »dass die von fast einem Drittel bekundete Unzufriedenheit mit erlebten Qualitätsmängeln der Ausbildung einhergeht – angefangen bei fehlender Unterstützung durch Ausbilderpersonal bis hin zur Häufung ausbildungsfremder Tätigkeiten.« Bei der dualen Ausbildung sei vielen nicht bewusst, »dass sie mit den Betrieben nicht einen reinen Ausbildungsvertrag, sondern einen Arbeitsvertrag mit all seinen Rechten, aber auch Pflichten schließen. Umgekehrt ist auch manchen Betrieben nicht bewusst, dass die Ausbildungsseite dieses Vertrages genauso ernst zu nehmen ist wie dessen arbeitsvertragliche Regelungen«, so Baethge-Kinsky.

Es war nicht der Wunschberuf

Anna Greilinger vom Deutschen Handwerksinstitut fügt in ihrer Studie »Analyse der Ursachen und Entwicklung von Lösungsansätzen zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen in Handwerksbetrieben« einen weiteren Grund hinzu: »Zudem kamen viele Abbrüche zustande, weil es sich bei der ergriffenen Ausbildung lediglich um die ›Second-best‹-Option der Jugendlichen handelte. Da die Jugendlichen keine Möglichkeiten hatten, den Wunschberuf zu ergreifen, wurde die jeweilige Ausbildung als Übergangslösung angetreten, bis sich weitere Chancen auftaten.«

Körperliche Überforderung

… so die Meinung Unternehmer Jens-Uwe Lutz aus Berlin, ist ein großes Problem bei Auszubildenden. Er bildet im Schnitt acht Jugendliche, darunter viele junge Frauen, aus. Für sein Engagement in der Ausbildung wurde er mehrfach ausgezeichnet, doch auch bei Jens-Uwe Lutz gibt es Ausbildungsabbrüche. Viele Azubis haben vor allem mit den körperlichen Herausforderungen im Maleralltag Probleme. »Das beginnt schon damit, auf einer Leiter zu stehen, ohne sich festzuhalten zu können, weil man die Hände ja zum Arbeiten braucht. Oder mehrere schwere Farbeimer ins vierte Stockwerk hochzutragen. Es fehlt vielfach an körperlicher Fitness und dem Zutrauen in den eigenen Körper«, stellt Jens-Uwe Lutz fest. Auch die psychische Belastbarkeit sei bei seinen Azubis oft nicht gegeben, vielen mangle es an Sozialkompetenz und kommunikativen Fähigkeiten. Hier sieht Lutz auch die Schulen in der Pflicht: In den Abschlussklassen sollten die Schüler die Möglichkeit erhalten, sich körperlich und geistig bzw. teamorientiert trainieren zu können.

Besser Ausbilden

Jens-Uwe Lutz macht es Freude, junge Menschen auszubilden. In diesem Herbst haben vier neue bei ihm begonnen. In seiner Berliner Innung hat der Unternehmer ein Willkommensfest für die neuen Azubis initiiert. Im Einstellungsgespräch ließ er die zukünftigen Azubis folgende Fragen beantworten: Was erhoffe ich mir von meiner Ausbildung? Warum will ich diesen Beruf erlernen? Was erträume ich mir nach meiner Ausbildung? Daran erinnert Jens-Uwe Lutz bei Konflikten oder Phasen, in denen die Motivation fehlt. Bei den Bewerbungsgesprächen ist zudem IMMer eine Bezugsperson dabei, so könne er den Bewerber eher einordnen. Viele Bewerber hätten bereits ein Praktikum bei ihm gemacht oder bereits als Ferienjobber mitgearbeitet. Um Anreize zu schaffen werden Selbstverteidigungskurse und andere Weiterbildungsmaßnahmen angeboten. Besonders das Angebot einen Monat lang mit dem »Erasmus-Projekt« ins Ausland zu gehen wird gern genutzt.

Bessere Integration

Wie gelingt die Einarbeitungsphase bei Jens-Uwe Lutz? Jedem Azubi stellt er einen erfahrenen »Bezugsgesellen« zur Seite, der in der ersten Zeit als Mentor IMMer an der Seite »seines« Azubis ist. Am ersten Tag können die Azubis ihre eigene Firmenkleidung wählen, sie bekommen Schutzausrüstung und Werkzeug. Um 6.30 Uhr beginne dann der Arbeitstag – mit einem gemeinsamen Kaffee. Am Anfang der Ausbildung sei es für die jungen Menschen enorm schwierig, sich in die Abläufe des Handwerkeralltag einzuarbeiten, berichtet Lutz. Hier brauche es Empathie, soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit von Seiten der Ausbilder. Chefs sollten sich darin weiterbilden lassen, rät er. In seinem Betrieb gibt es flache Hierarchien, es wird auf auf Augenhöhe kommuniziert, so dass sich die Azubis bei Konflikten auch bei ihm melden.

Vertragslösung als wichtiges Signal

Ein anderer Blickwinkel biete sich, wenn man Vertragslösungen als Endpunkt eines Konfliktprozesses betrachtet. Viktoria Bolmer sieht Vertragslösungen als »ein gutes und wichtiges Signal«. Auf der Plattform »bento« von Spiegel online schreibt die Redakteurin: »Wenn die tägliche Arbeit jemanden unglücklich macht, sollte man an der Situation etwas verändern können – ohne gesellschaftlich geächtet zu werden.« Laut Alexandra Uhly könne die Vertragslösung zudem auch als Korrektur von Berufs-, Ausbildungsbetriebs- oder Rekrutierungsentscheidungen betrachtet werden. Volker Baethge-Kinsky gibt zudem zu bedenken, dass das Lösen eines Vertrages auch Ausdruck dafür sein kann, »dass der Betrieb seine Ausbildungsmöglichkeiten oder der Jugendliche seine Anpassungsbereitschaft unterschätzt hat. Dann ist eine Vertragslösung wohlmöglich die beste Lösung für alle Beteiligten.«

Jeder darf sich mal irren

So auch eine Auszubildende bei Jens-Uwe Lutz: »Janine wollte schon hinschmeißen. Ich habe ihr gesagt, sie solle sich noch mal richtig reinhängen und es probieren. Falls es dann auch nicht klappt, sei das auch nicht schlIMM, dann könnten wir die Zeit einfach als sinnvolles Praktikum verbuchen und es gebe keine Probleme in ihrem Lebenslauf«, schildert der Ausbilder. Heute sei Janine eine starke Persönlichkeit, die ihr Leben gut meistern werde, vielleicht auch im Malerhandwerk, freut er sich. Ein Abbruch sei nichts Tragisches, jeder könne sich mal irren, ist seine Devise. Wer das erkennt, kann entgegenwirken und sich Unterstützung holen. Das ganze Brennpunkt-Thema zu Ausbildungsabbrüchen mit Tipps und weiterführenden Informationen für Betriebsinhaber gibt es in der Dezember-Ausgabe der Mappe.

Foto: manuta/Adobe Stock
Kleine
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