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30. November 2018
Redaktion
Gestaltung

Farben gleicher Helligkeit

Farbtöne gleicher Helligkeit sind ein interessantes Phänomen. Wer Farbe kreativ einsetzt, dem begegnet es zwangsläufig. Insofern ist es gut zu wissen, welche Auswirkungen Farben gleicher Helligkeit in der gestalterischen Anwendung haben können. Autor Joachim Propfe erklärt die Zusammenhänge.
Farben
Foto: Joachim Propfe

Die Theorie

Die Helligkeit ist nur ein Parameter von dreien, nach denen sich Farben unterscheiden: nach ihrem Farbton (Gelb, Blau, Rot usw.), nach ihrer Sättigung oder Buntanteil oder Farbintensität (Farbtöne die mit mehr oder weniger viel Schwarz und/oder Weiß gemischt sind, z.B. Pastelltöne) und eben nach ihrer Helligkeit/Dunkelheit. Farbtöne unterscheiden sich jedoch nicht immer nach allen drei Parametern. Für die Unterscheidbarkeit genügen zwei davon. Das bedeutet, dass es zwischen zwei Farbtönen auch identische Parameter geben kann, z.B. reines Blau und Hellblau haben den gleichen Buntton, unterschieden sich jedoch in der Sättigung und Helligkeit. Genauso gut können zwei unterschiedlich helle Farbtöne eine identische Sättigung aufweisen. Und im dritten Fall, um den es hier speziell gehen soll, sind zwei unterschiedliche, nicht gleich gesättigte Farben in ihrer Helligkeit identisch. Dazu ein extremes Beispiel: Ein reines Rot und ein reines Grün liegen sich zwar im Farbkreis gegenüber, haben also bezüglich des Farbtones den größtmöglichen Kontrast (Komplementärkontrast), dennoch besitzen sie die gleiche Helligkeit.

Farbwahrnehmung

Die Wahrnehmung dieser Parameter der Farben ist nicht gleichwertig, sondern funktioniert hierarchisch: Vor dem Buntton und der Sättigung eines Farbtons unterscheidet das Auge die Helligkeit von farbigen Flächen. Das einleuchtendste Beispiel dafür ist die Schrift, die Sie gerade lesen, das Schwarz der Buchstaben ist auf weißem Hintergrund, also im größtmöglichen Helligkeitskontrast, den es gibt. Gegenprobe: Wäre der Text in Rot auf einem grünen Hintergrund gedruckt, hätten Sie die größte Mühe, den Text zu entziffern. Der große Bunttonkontrast nützt in diesem Fall nichts! Helligkeitsunterschiede sind also unverzichtbar, um farbige Flächen voneinander abzugrenzen. Andernfalls kann das Auge kaum die Grenze zwischen zwei Farbtönen wahrnehmen.

Wichtig, aber dennoch schwer einzuschätzen

Obwohl die Helligkeit das erste Unterscheidungsmerkmal in der Farbwahrnehmung ist, fällt es im Allgemeinen schwer, die Helligkeit von Farbtönen zu unterscheiden oder zu bestimmen. Eine Erfahrung, die ich bei vielen Teilnehmern von Farbseminaren immer wieder gemacht habe. Meiner Beobachtung nach gibt es zwei Gründe dafür. Der erste ist, dass Farbtöne – auch gesättigte – eine Eigenhelligkeit besitzen. Ein Gelb in voller Sättigung besitzt einen immensen Helligkeitskontrast zu einem Blau größter Sättigung. In der Beurteilung von Farbtönen bezüglich ihrer Helligkeit beeinflusst dieses Wissen (sofern vorhanden) die Wahrnehmung: Gelb ist heller als Blau, also muss auch ein gelblicher Farbton heller sein als ein blauer Farbton – das kann sich als folgenschwerer Irrtum herausstellen, denn es gibt durchaus gelbliche Farbtöne, die dunkler sind als bläuliche, man spricht hier von Inversion, also einer Umkehrung der ursprünglichen Farbeigenschaft. Der zweite Grund ist, dass gleich gesättigte Farbtöne von Laien als gleichgewichtig betrachtet werden. Hierbei wird von der Annahme ausgegangen, dass gleich gesättigte Farben auch gleich dunkel sein müssen. Ebenfalls ein Irrtum, wie aus dem oben gesagten hervorgeht. Dabei kann man solche Helligkeitsunterschiede mit einem einfachen Trick leicht erkennen.

Gleiche und unterschiedliche Helligkeiten erkennen

Zwei Farbmuster, die miteinander verglichen werden sollen, werden plan und ohne jeglichen Zwischenraum nebeneinander gelegt. Beim Betrachten muss man die Augen etwas zusammenkneifen, so gelingt es, bei gesättigten bunten Farben den Einfluss des Bunttons soweit zu reduzieren, dass man den Helligkeitsunterschied gut wahrnehmen kann. Nimmt man mit leicht zusammengekniffenen Augen zwischen den beiden Farbtönen keine Grenze mehr wahr, besitzen sie die gleiche Helligkeit. Um den Grad der Helligkeit oder Dunkelheit annähernd bestimmen zu können, benötigt man keine aufwendige Messapparatur, man kann eine 10-stufige Graukarte und die eigenen Augen benutzen. An dieser Grauskala kann man Farbmuster anlegen und den oben beschriebenen Trick anwenden, um die ungefähre Helligkeit zu ermitteln: Verschwindet zwischen einem bestimmten Graumuster und dem angelegten Farbton die Grenze, ist die Helligkeit identisch. Man kann also sehen, ob es sich um einen hellen, mittleren oder dunklen Farbton handelt.

Die gestalterische Praxis

Das Phänomen der Helligkeit und des Helligkeitskontrastes zwischen Farbtönen hat ganz handfesten Einfluss auf die Arbeit des Malers, vor allem, wenn er selbst gestaltet und Kunden bezüglich der Farbwahl berät. Gestalten von Architektur bedeutet ja im Grunde immer, Flächen oder Bauteile voneinander abzugrenzen, wie beispielsweise an Fassaden. Dabei werden Fassadenflächen, vor- und zurückspringende Bauteile oder Schmuckelemente, Teile aus verschiedenen Materialien mit unterschiedlichen Funktionen häufig farblich differenziert. Um hier ein klar strukturiertes Erscheinungsbild zu erhalten, genügt es jedoch nicht, nur den Buntton oder die Sättigung von einem Bauteil zum anderen zu verändern. Vor allem die Helligkeit muss unterschiedlich sein, damit das Auge eine farbliche Differenzierung überhaupt wahrnimmt. Sind die Helligkeitsunterschiede zu gering, kann das Auge die Fassade nicht mehr »lesen«. Gleiches gilt selbstverständlich für den Innenbereich, selbst bei einfachsten Gestaltungen, bei denen etwa eine Tür gegenüber einer Wand farblich abgesetzt werden soll. Übrigens: Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Innen und Außen bezüglich der Kontraststärke: Im Außenbereich können Helligkeitskontraste stärker gewählt werden als im Innenbereich, unter anderem auch deshalb, weil draußen der Kontrast zwischen besonnten und verschatteten Flächen viel größer ist.

Besondere Qualität bei der Gestaltung

Zur Unterscheidung von Flächen, Bauteilen oder Ornamenten sind Farben gleicher Helligkeit zwar nicht geeignet, dafür besitzen sie aber eine ganz andere gestalterische Qualität: Sie können große Wände auflockern und beleben und dabei den flächigen, ruhigen Charakter erhalten. Der Grund ist darin zu sehen, dass Farben gleicher Helligkeit für den Betrachter farbperspektivisch auf der gleichen Ebene liegen. Haben Farbtöne einen Helligkeitsunterschied, scheinen die helleren hinter den dunkleren zu liegen, es entsteht automatisch die Illusion von Vorder- und Hintergrund. Dieses Phänomen kann man hin und wieder in Tapetenbüchern entdecken, wenn Wandbeläge in unterschiedlichen Farbstellungen angeboten werden. In einer Farbstellung wirkt eine Dessinierung lebhaft, in einer anderen wird die Lebhaftigkeit der Grafik quasi aufgehoben, da die Farbgebung nur geringe Helligkeitsunterschiede aufweist. Ein gutes Beispiel dafür sind einfache Streifenmuster in zwei Farben: Schwarz – Weiß oder Gelb – Blau erzeugen fast schon eine psychedelische Wirkung, stets auch abhängig von der Breite der Streifen. Reduziert man den Helligkeitskontrast durch einen Farbwechsel auf Schwarz – Blau oder Weiß – Gelb, dann entstehen dezente Hintergründe für die Einrichtung. Es lohnt sich also, die Helligkeitskontraste im Blick zu behalten und bei Unsicherheiten eine Grauskala zur visuellen Bestimmung der Eigenhelligkeit eines Farbtons zu benutzen. So lassen sich Farbkonzepte optimieren und in ihrer Wirkung steigern. Mehr Fach-Know-how gibt’s in der Dezember-Ausgabe der Mappe

Foto: manuta/Adobe Stock
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